4.48. Der dramatische November 1918 in Esch

 

Wohl hatte die Unabwendbarkeit der Kapitulation des 2. Deutschen Reiches sich herumgesprochen, doch war sie in den Tagen um den 11.November - dem Tag des Waffenstillstands -  noch nicht völlig ins Bewusstsein übergegangen.  A 9. November betraf die wichtigste Nachricht im tageblatt die Ausschreibung der „interkommunalen Kleinbahnen“ Esch-Rümelingen-Oettingen, Kayl-Düdelingen und Wegeweiser Kayl-Kayl-Rümelingen (gemeint mit Wegeweiser ist wohl Kayler Poteau). Am Montag, dem 11. November titriert das tageblatt mit der Annahme der Waffenstillstandsbedingungen und der Forderung des Luxemburger Volkes, dass die Großherzogin abdanke. Der Gemeinderat protestiert gegen die Einquartierung zurückflutender deutscher Truppen in Esch. Die Lichter können nachts wieder leuchten, Schluss mit der Verdunkelung. 

Bei der Buchholzbrauerei landete ein deutsches Flugzeug mit roten Fahnen und roten Bädern geschmückt. Nachzutragen bleibt, dass sich am Samstag, dem 9. November bei dem „Siegburger Landsturmbataillon“, das wohl in Esch stationiert war, ein Soldatenrat gebildet hatte.

 

Die Berichterstattung des 12. November befasst sich vor allem mit der Hungersnot in Esch. Die Zuteilung von Grundnahrungsmittel an Esch ist ungenügend. Die Einlösung verschiedener Lebensmittelkarten findet im Hof des Polizeikommissariats statt. , Am Quai Neudorf gibt es Kartoffeln – vermutlich aus den Waggons heraus gereicht -  und Fleischwaren bei den verschiedenen Metzgern. 

 

Am 12. November trafen in Esch 2000 halb-verhungerte russische Kriegsgefangene ein. Die Bevölkerung half mit Brot, die Stadtverwaltung mit Kartoffeln. Es wurde gewarnt vor tausenden scharfer Granaten, welche die deutschen Truppen auf dem Katzenberg abgelagert hatten.

 

Die Nachricht vom Samstag, dem 16.November 1918 ist erstaunlich. Als gäbe es keine direkten Nachrichten aus der Kammer, zitierte das tageblatt den „Landwirt“ aus Diekirch, der berichtet, die Vertreter der „Escher Volkspartei“ Kappweiler, Keilen und Winandy hätten am 13.11 die Thronenthebung der Großherzogin verhindert. (Dank deren Enthaltung endete das Votum mit 20 gegen 19 Stimmen gegen die Thronenthebung). Ist es nur eine Wiederholung von längst bekannten Nachrichten, um zu zeigen, dass man selbst im Diekicher „Landwirt“ über den Kniefall der 3 Abgeordneten entrüstet ist ? Kappweilers Truppe, die noch am Tage davor die Absetzung gefordert hatte, war über Nacht von Staatsminister Prüm überzeugt oder sogar bestochen worden! Die Großherzogin ist dennoch mit fast allen Stimmen der Kammer suspendiert worden. Ziel und Zweck davon war es, die französische Regierung zu besänftigen. Frankreich hielt Luxemburg zu deutschfreundlich, weil man den Kaiser Wilhelm II bei Hofe empfangen hatte.

 

Am 18. November war dann der Verrat der Escher Volksparteiler Thema der Volksversammlung im Saal Hoferlin, die der Escher Arbeiterrat einberufen hatte. Kappweiler wurde als Arbeiterrat abgewählt. Die Versammlung sprach sich für die Republik aus. Die Forderung nach der Ausrufung der Republik tauchte in den Kolonnen des tageblatt des Monats November 1918 immer wieder auf.

 

Es folgte der Einmarsch der amerikanischen Truppen. Es verlautete, Luxemburg solle von französischen und belgischen Truppen besetzt werden, die amerikanische Division ziehe weiter, um das Rheinland zu besetzen. Tatsächlich durchquerten schwere Geschütze die Stadt, die von 6-8 Maultieren gezogen wurden. Die Truppen wurden in Schulen und Festsälen untergebracht. Konnten die Boys sich mit den verschiedenen europäischen Währungen zurecht finden?

 

Am 20. Dezember fand eine Generalversammlung des Escher Geschäftsverbandes statt, die nicht nur anmahnte, bei der Berechnung der Preise für amerikanische Kunden korrekt vorzugehen, sondern auch den Preistreibern unter ihren Mitgliedern mit dem Ausschluss aus dem Verband drohte. Der Wucher scheint also erheblich gewesen zu sein. Am Samstag, dem 23. November publizierte das tageblatt einen Brandartikel gegen die Wucherer, in dem der Akzent darauf gelegt wurde, dass es unannehmbar ist, die Befreier zu betrügen. Am 26. November explodierte die Lage: gegen 19 Uhr versammelte sich eine Menschenmenge vor einer Epicerie der Alzettestraße um eine Gruppe amerikanischer Soldaten, die dort „überfordert“ worden waren. Die Fenster des Ladens wurden eingeschlagen. Darauf hin kam es zu einer allgemeinen Plünderung der Geschäfte der Alzettestraße. Am 27. wurden 30 (luxemburgische) Soldaten und 20 Gendarmen angefordert um den Plünderern nachzustellen. Es gab mehr als 50 Verhaftungen.

 

Die Plünderungen vom 26. November werfen einige Fragen auf. Zum Hintergrund dürfte es wenig Zweifel geben: die Hungersnot, die Knappheit an lebenswichtigen Artikeln, die hohen Preise. Wer waren die Plünderer? Das tageblatt schreibt „Es handelt sich vorwiegend um verdächtige Ausländer, darunter einige Frauen. Die Italiener und Franzosen bilden den Hauptbestandteil.“ Ist diese Meldung nicht ein Bisschen tendenziös ?  Da helfen nur Nachforschungen in den Gerichts- und Gendarmerieakten. Ein Großteil der Geschäfte der Alzettestraße wurden von jüdischen Inhabern geführt. Es gibt aber keinerlei Hinweise, dass die Plünderung eine antisemitische Nebenbedeutung gehabt haben. 

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