1.10. Ein interessanter Grabstein aus dem früheren Augustinerkloster von Diedenhofen

 

In dem städtischen archäologischen Museum von Thionville, das in der „Tour aux Puces“ untergebracht ist, im „cour du château“, also in einem Überbleibsel des früheren Schlosses der Luxemburger im Stadtzentrum, nahe dem linken Moselufer, befinden sich eine Reihe von Grabplatten aus der Kirche des gewesenen Augustinerklosters von Thionville. Dieses Kloster wurde zu Vaubans Zeiten abgerissen, um militärischen Anlagen Platz zu machen. Die Platten wurden 1903 wiederentdeckt, als diese militärischen Anlagen ihrerseits anderen Bauten Platz machten. Einige Platten kamen erst 1974 beim Bau eines Parkings zum Vorschein. Sie sind in den Boden des 1. Stocks der Tour aux Puces eingelassen, mit starken Glasplatten abgedeckt, die man betreten kann. Diese architektonische Lösung ist glücklich, weil sie eine optimale Ausnutzung des begrenzten Raums in der Tour aux Puces ermöglicht, die Platten dennoch ähnlich ihrer ursprünglichen Position gelagert sind, aber nicht mehr durch die Tritte der Besucher abnützen können.

 

Die Platte Nummer 3 von 240x102 cm, aus Kalkstein, betrifft, laut dem lothringischen Inventar der historischen Monumente, Hôtel Ferraris in Nancy, eine „Claire de Schiffeldange“, die 1519 verstarb. Im Museum wird sie aber als „Claire d’Esch“ aufgeführt. Der Stein ist flach und die Darstellungen eingraviert, ohne dass ein Relief entsteht. In der Beschreibung des lothringischen Inventars wird der Zustand der Platte als schlecht bezeichnet, weil er gerissen ist. Dennoch ist die Darstellung auf den ersten Blick deutlich erkennbar: sie zeigt eine Witwe in Nonnengewand (mit Schleier), einen Rosenkranz in der Hand. Unter ihren Füssen liegt ein Hund. Auf beiden Seiten des Kopfes ist jeweils ein Wappen eingraviert. Die gesamte Figur ist links, oben und rechts von einem fortlaufenden gotischen Epitaphienband umgeben. Wir konnten es auf Anhieb nur teilweise entziffern, doch ist die Sprache Deutsch. Der Text kann in Bruchstücken gedeutet werden

 

Laut den angebrachten erklärenden Schrifttafeln und dem auf Internet vom lothringischen Inventardienst publizierten Karteikarte des Objekts handelt es sich also um die Grabplatte der Witwe von Nicolas de Schiffeldange, échevin de Thionville. Die Wappen wären identifiziert als die der Familie von Schiffeldange (links) und die der Familie von Esch (rechts). Die Lokalgeschichtsschreibung kennt keine Familie „von Esch“, Esch war ja keine Herrschaft sondern eine Freiheit.

 

Claire war wohl eine Frau von kleinem Adel, sonst wäre sie nicht auf diese stattliche Weise begraben worden. Oder war es einfach eine bürgerliche Frau, die sich mit einem Adeligen oder einem Ministranten von einer gewissen Bedeutung verheiratet hatte ? Sie ist meines Wissens in der Literatur unbekannt. Sie muss nicht aus Esch-sur-Alzette stammen, ihre Herkunft könnte à priori auch ein anderes Esch sein (an der Sauer, bei Messancy, ein anderes „Aix“). Dass Schiffeldange, Schifflingen ist, ist kaum zu bezweifeln. Das Wappen von Schiffeldange ist dem modernen Gemeindewappen von Schifflingen sehr ähnlich: Diagonales Band von oben links nach unten rechts mit 3 Figuren. Im modernen Schifflinger Wappen, das genauso aufgebaut ist, sind die Figuren 3 flache Hände, hier sieht die Darstellung eher nach 3 Früchten aus. Das vermeintliche Wappen von Esch zeigt eine Figur, die einen schweren Gegenstand trägt. Beiderseits zu ihren Füssen sind drei Rillen eingraviert. Es könnte einen Mann darstellen, der mit einem Flegel auf Garben eindrischt eher wohl ein „Wëlle Mann“. Die Figur es wilden Mannes ist in der Heraldik jener Zeit gebräuchlich.

 

 

Für die Forschung stellen sich nun mehrere Fragen:

- Sind die Wappen in der Literatur bekannt ? Von Esch (Alzette), der „Stadt und Freiheit“ ist das Wappen ungewiss. Das heutige Stadtwappen stammt von 1871 und stellt im Zentrum den „Roten Turm“ auf einer blauen Welle dar. Dieser Turm war erst 1820 abgerissen worden. Das moderne Wappen inspiriert sich also aus einer rezenten geschichtlichen Erinnerung. Im „Armorial de Lorraine“ (et des provinces de Bar, de Luxembourg et de Joinville) von Robert de Saint-Loup gibt es eine Beschreibung des alten Wappens „d’Aix, alias Esch (d’) Luxembourg: Burelé d’hermine et de gueules. Cimier : Deux cornes aux armes. » Also vermutlich 10 Streifen in die Breite, abwechselnd silbrig und rot. Handelt es sich um Esch-sur-Alzette ? Die Beschreibung von Robert de Saint-Loup passt ziemlich genau auf das Wappen von Esch an der Sauer...? Die Ähnlichkeit des Wappens von Niclaes de Schiffeldange mit dem heutigen Gemeindewappen von Schifflingen ist frappant. Kann es bei der modernen Zeichnung des Schifflinger Wappens eine Fehlinterpretation gegeben haben, was die 3 kleinen Figuren betrifft. (Die Grabplatte ist monochrom; Farbvergleiche sind nicht möglich).

- Welches war das gesellschaftliche Statut von Nicolas und von Claire ? Es gab weder eine Herrschaft Schifflingen (zumindest nicht mehr zu dieser späten Zeit) noch eine Herrschaft Esch, es sei denn, die Herrschaft Berwart sei gemeint. Die Herrschaft Berwart war aber zu dieser Zeit (und bis ins 19. Jahrhundert hinein) von den Schauenburgs besetzt, die immer unter ihrem schillernden Hausnamen auftraten, außerdem am Rande von Esch ein Schloss mit einer Hauskapelle besaßen, die wohl Gräber aufnehmen konnte. Die Schauenburgs hatten höhere Positionen als Schöffen in Thionville: Hans Marquart von Schauenburg (= Hans von Berwart) war Hofmeister von Christoph von Baden und spätestens 1517 Gouverneur von Thionville. Wahrscheinlicher ist es, dass Nicolas und Claire kleine Edelleute waren. J.B.Weirich würde sie „altfreie Edelinge ohne herrschaftliche Rechte“ nennen, die sich nicht auf ein bestimmtes Haus berufen konnten. Die Familiennamen waren in Esch, zumindest für Familien mit bürgerlichem Besitz, längst geläufig. Die Familiennamen „von Schiffeldingen“ (und „von Esch“, falls diese Klara überhaupt so hieß) können weder bedeuten, dass es einfache Herkunftsbezeichnung waren (in Ermangelung eines Familiennamens) noch können sie einen herrschaftlichen Besitz ausdrücken. Es waren also wohl gefestigte Namen der respektiven Familien. Das macht es wiederum wahrscheinlicher dass Claire aus Esch-Alzette stammen und einen jungen Mann aus einer besseren Familie des Nachbardorfs geheiratet hatte. (Wir kennen bisher den Grund noch nicht warum die Verantwortlichen in Museum von Thionville die Klara mit Esch in Verbindung bringen. Die Konservatoren aus Nancy haben wohl einfach Schiffeldingen eingesetzt, weil der Mann so heißt.)  Wieso hatte sie dann ein Wappen ? Oder hatte sie oder die ihrigen das Wappen der Freiheit Esch einfach vereinnahmt ? Hatte Esch-sur-Alzette überhaupt ein Wappen ? Ein Zitat aus J.B.Weirich „Schloss und Schlossherrschaft Berwart“ (Kremer-Muller 1933) SS. 26-28 zeugt von der Existenz von Edelleuten in Esch (Alzette ?): „Im Jahre 1455 hatten Claes von Schifflingen, Bürger zu Diedenhofen und Edelfräulein Elsgen, Tochter Reymens von Esch, zugunsten Collins, Herrn von Oettingen, auf ihre Ansprüche auf die Herrschaft Preisch verzichtet.“ Dieser Claes (Nicolas) war wohl zu alt um der Ehemann unserer Claire sein zu können, aber er könnte der Schwiegervater sein.

 

Wir wollen uns bei unseren weiteren Untersuchungen nicht darauf versteifen, der Geschichte des kleinen befestigten Fleckens Esch-sur-Alzette, einem Dorf, das den Titel Stadt und Freiheit trug, mehr abzugewinnen, als sie hergibt. Einiges in der bisherigen Lokalgeschichte präzisieren zu können, wäre allerdings angebracht. Die Niederlassung kleiner Adeliger in Esch wäre eine neue Erkenntnis.

 

 

© Copyright Frank Jost, Weitergabe gestattet nur mit Quellenangabe 

Download
PDF Download
1.10.pdf
Adobe Acrobat Dokument 69.8 KB