4.42 Das große Völkermorden 1914-18

 

Die folgende Dokumentation stammt grösstenteils aus dem Werk von Joseph Flies. Am 4. August 1914 stimmte der Berliner Reichstag - mit den Stimmen der Sozialdemokratie - die Kriegskredite. Zwei Tage vorher war bereits klar geworden, als der deutsche Major Erik von Bärensprung sich von der Regierung Eyschen empfangen liess, dass das deutsche Reich die Neutralität Luxemburgs nicht respektieren würde. Für die Escher Bevölkerung sollte eine schlimme Zeit der Entbehrungen, des Wuchers und des Hungers einbrechen. Die noch schwach organisierte Arbeiterklasse würde erstmals mit voller Macht auf den Plan treten.

 

Der nationalistische Wahn, der den Kriegsbeginn begleitete, führte einen Teil der sehr zahlreichen Deutschen in Esch dazu, ihren Kriegsgelüsten lauthals in den Wirthäusern Ausdruck zu geben. Es bedurfte des Eingriffs des Bürgermeisters Michels, dass sie sich zurückhielten. Eine andere Bevölkerungsgruppe verlor ihre Existenz: Da Italien auf der Seite der Entente (Frankreichs und Englands) stand, verliessen die sehr zahlreichen italienischen Arbeiter das Land in Richtung Italien. Manche konnten keinen Zug mehr finden. Fliess berichtet lakonisch, dass sie den ersten deutschen Infanteristen zugestellt wurden. Jetzt war die Erzförderung in Frage gestellt. Manche Deutsche, die Reservisten der Armee waren, eilten zu den Waffen. Die Eisenindustrie stand nun und bis zum 1. März 1915 still.

 

Kampfhandlungen gab es in Esch zu Beginn des Krieges nicht. Esch lag auch nicht an der französischen Grenze. Es gab jedoch sofort eine politische Repression. Sie betraf das Escher Tageblatt, das propagandistische Falschmeldungen der Deutschen entlarvte und vor der Verletzung des Briefgeheimnisses warnte. Chefredakteur Franz Clement und Direktor Paul Schroell wurden verhaftet in in der Festung Ehrenbreitstein festgehalten, das “tageblatt“ durfte vorerst nicht mehr erscheinen. Auch Alfred Houdrement, Direktor der Industrieschule und Präsident der „Alliance Française“, sowie Polizeikommissar Reis wurden verhaftet. Die Gefangenen kamen nach einiger Zeit wieder frei. Das „tageblatt“ konnte ab dem 1. Januar 1915 wieder erscheinen, wurde allerdings oft zensuriert.

 

Den Kanonendonner der heftigen Kämpfe um die Festung Longwy konnte in Esch gut vernommen werden. Der Sohn des Kaisers, Kronprinz Wilhelm, hatte sein Hauptquartier in der Großgasseschule eingerichtet und wohnte bis zum 6. September in einem Nachbarhaus. An diesem Tag wurde er von seinem Vater nach Luxemburg beordnet, der sich dort installiert hatte. Flies publizierte in seinem dicken Buch „das Andere Esch“ einen Stich, der wohl einem Foto nachempfunden war, der die Übergabe der gefallenen Festung Longwy durch den Gouverneur Darche an den Kronprinzen zeigt. Ein Flügel der Schule, das gegenüberliegende Café und im Hintergrund die Metzeschmelz sind deutlich zu erkennen. Flies erwähnt eine andere Episode: der Kaisersohn hatte sich auf einem Steinhaufen in der Großstrasse ablichten lassen. Mit der Bildzeile „Der Kronprinz auf den Trümmern von Longwy“ wurde das Foto der deutschen Presse zu Propagandazwecken zugesandt. 

 

Am Wochenende des 22. und 23. August 1914 wurde Esch von Verwundeten beider Lager aus der Schlacht um Longwy überschwemmt. 500 wurden im Spital in der heutigen Léon Metzstrasse, in den „Metzerkasernen“, also den Dependenzien des Schlosses, in den Häusern der Elisabeterinnen, im Pfarrsaal der Grenz untergebracht. Die Escher mobilisierten sich im roten Kreuz, um die Verletzten zu pflegen. 

 

Im Jahr 1915 war die Bevölkerung von Esch um etwa 3.300 Menschen zurückgegangen. Für die verbleibende Bevölkerung wurde das Leben zusehends schwieriger. Eine Hungersnot kündigte sich an. Die Kriegshandlungen hatten sich von Esch in die Gegend von Verdun verlagert. Im Frühjahr 1916, als die Front sich kaum noch bewegte und die Bombardierung durch Flugzeuge einsetzte, stellten die Deutschen Abwehrkanonen auf den Höhen auf um die Hütten, die für die Kriegsindustrie arbeiteten, zu schützen. Die Sirenen kündigten Fliegerangriffe an. Im Falle eines solchen Alarms musste die Escher Feuerwehr die städtischen Gaslaternen abstellen, damit die Flugzeugen der Entente die Ziele nicht finden konnten. Die Einwohner mussten verdunkeln und stiegen mit Kerzen und Karbidlampen in die Keller. Vor den Läden und Brotvergabestellen bildeten sich riesige Menschenschlangen. Wer Bekannte auf dem Land hatte, versuchte sich mit Hamstern. Am Krieg konnte man sich auch bereichern: Zwischenhändler und Spekulanten trieben die Preise an und verdienten sich eine goldene Nase. Aus dieser Zeit baute sich bei vielen Industriearbeitern des Südens ein Hass gegen die Bauern auf, denen sie vorwarfen, die Städte auszuhungern.

 

Bürgermeister Michels fuhr im Januar 1917 nach Berlin, um dort eine bessere Regelung für die Verpflegung von Esch zu erreichen. Auf dem Rückweg zog er sich eine Lungenentzündung zu, an der er kurz darauf verschied. In seiner Amtsperiode war die Dellhéichtschule und 4 Kindergärten entstanden. Zudem hatte er immer für den Bau einer elektrischen Straßenbahn gewirkt. Sein Nachfolger war der, aus Vianden stammende Bauunternehmer Nikolaus Biwer von der Rechtspartei, den Flies erstaunlicherweise und herabwürdigend einen Glücksritter nennt. Er hatte viel Geld beim Bau des Arbed-Stahlwerks, des Zementwerks und bei der Überdeckung der Alzette verdient.

 

Die Beteiligung der Sozialdemokraten in einer Regierung Prüm, der angesichts der Besatzung die Hände gebunden waren, während die Bevölkerung litt, hatte verheerende Folgenden auf die Glaubwürdigkeit der linken Spitzenpolitiker. Dies profitierte einer neu entstandenen Strömung von Gewerkschaftern um Peiter Kappweiler, die man heute als populistisch bezeichnen würde.

 

Die folgende Zeit wird eine Verschärfung der sozialen und der politischen Kämpfe mit sich bringen. Es wird zum ersten Male im Großherzogtum zu regelrechten Aufständen kommen.

© Copyright Frank Jost, Weitergabe gestattet nur mit Quellenangabe 

 

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