3.26 Kurz vor dem Escher Big Bang

 

Es ist schon eine eigenartige Zeit, die Esch in den 1860iger Jahren erlebte. Der Eisenarzabbau deutete unmissverständlich auf das industrielle Zeitalter hin. Das Postkutschenzeitalter war aber noch nicht ganz gewichen. Die Postkutsche mit 4 Rädern und 4 Plätzen verband Esch täglich mit Luxemburg. Als 1859 die Eisenbahnlinie Luxemburg-Bettemburg, mit der Fortsetzung nach Diedenhofen eröffnet wurde, fragte der Distriktskommissar an, ob dieser Postkutschendienst beibehalten werden sollte, oder ob er durch einen Dienst mir 2 Rädern und 2 Plätzen nach Bettemburg ersetzt werden sollten. Der Gemeindrat antwortete, er wünsche sich eine Postkutsche mit 4 Rädern und 4 Plätzen nach Bettemburg. Von dort konnten die Escher dann den Zug nach Luxemburg nehmen. Dabei hatte 1859 bereits der Bau der Bahnstrecke Bettemburg-Esch begonnen.

 

In diesem Jahr 1859 wurde die erste Apotheke in Esch eröffnet. Einen Arzt gab es noch nicht, doch wurde ein Tarifabkommen mit Theodore W. de Wacquant aus Foetz für dessen Krankenbesuche in Esch abgeschlossen. 1870 lässt sich dann Dr. Nikolaus Metzler aus Hollerich in Esch nieder. 1873 entsteht das erste Escher Spital rechtwinklig zur Luxemburger Strasse, heute in der Léon Metzstrasse gelegen und als Künstlerresidenz fur das Kulturjahr 2022 geplant. Finanziert wurde es von der Hüttengesellschaft der Metz. Es standen 40-50 Betten zur Verfügung. Der Pflegedienst wurde von der Kongregation der „Barmherzigen Brüder“ verrichtet.

 

1863 entsteht der erste weltliche Gesangverein. 1871 wurde die „Société de musique-fanfare d’Esch-sur-Alzette“ gegründet. Einen Kirchenchor gab es bereits.

 

In Jahr 1863 wurde auch mit dem Bau des ersten Gemeindehauses begonnen und zwar am Ort, wo das aktuelle Stadthaus steht. Es sollte, neben der Gemeindeverwaltung, ein Gefängnis, eine Schule, ein Gericht, eine Gendarmeriestation und eine Wohnung für den Vikar beherbergen. Es wurde 1935 abgerissen, als es als Rathaus bereits ausgedient hatte, um dem aktuellen, monumentalen Rathaus Platz zu machen.

 

1860 wurde der erste Escher Bahnhof errichtet, mit einem unscheinbaren Bahnhofsgebäude. Durch den Bau der Eisenbahn wurde der Weg nach Rümelingen, der durch die rue St. Antoine führte, blockiert. Eine schmale Eisenbahnunterführung gab nun Zugang zum Neidierfgen und machte den späteren Bau einer Strasse über den Kayler Poteau sinnvoll. Unter den Häusern der Schneider befanden die Verladequais der Minette. Flies führt den Namen „Schneier“ auf den Begriff „chènevières“, von „chanvre“, also Hanffelder, zurück, die terrassenförmig in diesem Areal angelegt waren.. Tatsache ist, dass in Esch Weber am Werk waren die den Hanf zu Leinen verarbeiteten und (Blau)Färber, die die Stoffe einfärbten. Dieses Areal im heutigen Stadtpark und zum Ostberg, Neidierfchen und dem heutigen Emile Mayrisch Stadion hin wurde dann ab 1866 von den Gebrüder Stumm aus Neunkirchen, später von der Gesellschaft „Ferry-Currique & Cie“ im Tagebau abgebaut und zwar so, dass eine riesige Felswand entstand, die die Stadt überragte. Es entstanden damals auch die Verladequais im Neudorf, wo nun die Flüchtlinge untergebracht werden. Die Felswand wurde dann 1910, beim Entstehen des Stadtparks etwas eingeebnet. Die ganze stufenförmige Konfiguration des Stadtparks ist teilweise künstlich und beruht auf dem Abbau der Minette.  

 

1866 entstand der Neue Friedhof im Thiergarten, der aktuelle St.Joseffriedhof. Der alte Friedhof, rundum die alte Kirche, sollte 1878 geräumt werden. 1930 wurde mit dem Bau des Lallinger Friedhofs begonnen.

 

Ein paar Jahre nach dem Bau des neuen Gemeindehauses wurde dann die heutigen Stadthaus- und Norbert-Metzplätze in Stand gesetzt. Über die Alzette führte damals eine fünfbögige Steinbrücke. Doch floss auch noch ein Bach aus dem Bourgronn in die Alzette, der in der guten Jahreszeit in einer Furt durchquert wurde, bei Hochwasser aber überflosst wurde. Das Flößerhaus war das heutige Restaurant Bec Fin. Näher beim Gemeindehaus gab es noch Überreste des ehemaligen Stadtgrabens und einen Abfluss in die Luxemburger Strasse, der zur Berwartsmühle führte. Das ganze Gebiet wurde also nun, laut J.P. Theisen, saniert, kanalisiert und  um 1 ½ Meter angehoben. Es konnten Bauten rundherum entstehen.

 

Die Bevölkerung von Esch stieg in den 1860er Jahren stetig an: von 1483 Einwohnern im Jahre 1860 auf 2275 im Jahre 1870. Im Jahre 1871 sind es bereits 3287. Diese Bevölkerungsexplosion ist vor allem auf die Errichtung der Metzer Schmelz zurückzuführen. Spielte die Rückkehr von Eschern aus Paris, nach der Niederlage der „Commune“ ebenfalls eine Rolle ? Einzelne Fälle sind bekannt, doch gibt es keine verlässlichen Zahlen.

 

Die Bebauung folgte in diesen Jahren keinem bestimmten Entwicklungsplan sondern den Einfallsstrassen: Faubourg, Neudorf, Otherstrasse, Redingerstrasse (rue du Canal), Breitenweg, Luxemburger Strasse, rue de la Fontaine, Schifflinger Weg. Beim und nach dem Bau der beiden Hütten, zwischen 1871 und 1873 wuchs die Zahl der Wohnhäuser um 250. Es entstehen erste Wohnhäuser in der Hoehl. Dieses Viertel bildete damals eine Art Arbeiterdorf, das von der historischen Ortschaft Esch völlig getrennt war. 1873 werden die ersten Kolonien gebaut: die Saarbréckerkasären, bestehend aus 16 Häusern.

 

1872 wurde der neue Bahnhof mit seinem aufwendigen Mauerwerk an den Auffahrtsrampen gebaut. Er wich in den 1960er Jahren dem heutigen Gebäude. 1873 erfolgte die Eröffnung der Prinz Heinrich Bahn nach Petingen. Infrastrukturell hatte es in ein paar Jahren riesige Veränderungen gegeben, die Hochöfen waren gezündet, die Entwicklung zur Industriestadt war eingeleitet.

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