3.31 Die Krise von 1867 und der Krieg von 1870

 

Es gibt nur wenige Äußerungen in der historischen Literatur über die Krise von 1867 und den deutsch-französischen Krieg von 1870-1871 und der Auswirkungen auf die Stadt Esch. Und doch mussten die Auswirkungen bedeutsam gewesen sein, änderte doch Esch seine Situation als Grenzstadt zu Frankreich (zum französischen Kaiserreich Napoleons III.) zu einer Grenzstadt zum neu gegründeten 2. Deutschen Reich unter Wilhelm I und dessen Reichskanzler Bismarck.

 

Die Luxemburger Frage hatte 1867 fast schon einen Krieg zwischen Frankreich und Preußen ausgelöst. Der niederländische König-Großherzog Wilhelm III hatte sich bereit erklärt, Luxemburg Napoleon dem III. zu verkaufen. Mit dieser Transaktion war Preußen nicht einverstanden, da sie das Gleichgewicht zwischen den beiden Mächten verschoben hätte; zudem war Luxemburg Mitglied des deutschen Zollvereins. Preußen wollte sich als führende Macht im deutschen Lager behaupten nachdem Österreich in einem kurzen Krieg geschlagen worden war und die Gründung des 2. Reiches auf der Tagesordnung stand. Solange die Kämpfe um die deutsche Vereinigung im Vordergrund standen, war Bismarck am Wohlwollen Napoleons III. interessiert und für eine Zuteilung Luxemburg an Frankreich eventuell zu haben. Preußen hatte eben Teile Dänemarks annektiert. Die Annexion Luxemburgs durch Frankreich wurde in den Kulissen der europäischen Politik verhandelt.

 

Die Haltung der Luxemburger in dieser Frage könnte etwa die folgende gewesen sein: (Zitate aus einem Bericht des Unterpräfekten von Verdun Jacquinot, der in halbgeheimer Mission in Luxemburg weilte. Bei Victor Molitor aufgegriffen.) „…il était tout naturel que les habitants de Luxembourg désirassent garder leur autonomie sous le sceptre d’Orange, mais que, s’ils se trouvaient dans le cas de choisir entre la réunion à d’autres pays voisins, les trois quarts des votes seraient en faveur de la France. » …Und weiter : « Il y a peut être trois ou quatre grands propriétaires ou industriels qui, dans un intérêt personnel, seraient contraires à l’annexion à la France. » Gemeint waren die Industriellen, die auf den deutschen Markt exportierten. Die ehemals frankophile Bourgeoisie hatte das Hemd gewechselt. Diese Einschätzung mag ein bisschen einseitig sein, da sie aus der Feder eines hohen französischen Beamten stammt. Im „Courrier“ vom 13. März 1867 war die Zuschrift eines Escher Bürgers zu lesen, der sich darüber beklagte, dass wir wie ein Trupp Sklaven verkauft werden sollten.

 

 

Der deutschfreundliche Prinz Heinrich (der mit den Eisenbahnen) wollte keinen Anschluss an Frankreich und schickte seine Frau Amalia nach St. Petersburg, um mit dem Zar zu verhandeln. Der niederländische König Wilhelm III., sein Bruder, und dessen Frau Sophie waren eher französischfreundlich eingestellt. Er schickte Heinrich nach Paris um sein Einverständnis mit der Abgabe Luxemburgs mit zu teilen. Doch die Entscheidung verzögerte sich. Im Norddeutschen Parlament wurde unter dem Druck einer zusehends nationalistischen Öffentlichkeit, mit großer Mehrheit eine Motion verabschiedet, in der eine Vereinigung mit dem deutschen Reich (das eigentlich noch nicht gegründet war) gefordert wurde. Die Motion lehnte eine Urabstimmung der Luxemburger kategorisch ab. Die luxemburgische Presse hatte sich mehrheitlich als Verlegenheitslösung für einen Anschluss an Belgien ausgesprochen, um einen Krieg zwischen Frankreich und Preußen, der sich wohl in Luxemburg abgespielt hätte, zu verhindern. 

 

Am 11. Mai 1867 trat, auf Druck von Russland und England, in London eine Konferenz zusammen, die den berühmten Londoner Vertrag hervorbrachte. Luxemburg wurde endgültig unabhängig, die preußische Garnison wurde abgezogen, die Festung geschleift. Luxemburg hatte nicht aus eigener Kraft überlebt, sondern weil die Kräfte Frankreichs und Preußens sich neutralisierten.

 

3 Jahre später brach dann dennoch der Krieg zwischen Preußen und Frankreich aus. Er war auf die Dummheit Napoleons III. und die Machtgelüste Bismarcks zurück zu führen. Napoleon, der mit einer fehlgeschlagenen Expedition in Mexico an Prestige eingebüßt hatte, hatte den Krieg erklärt, obwohl seine Armeen nicht bereit waren. Bismarck stieg freudig ein, denn er brauchte einen Krieg um die süddeutschen Staaten an sich zu binden und das II. Reich unter Preußens Regie auszurufen. Eine Viertelmillion Franzosen standen einer halben Million Deutschen gegenüber. Es gab erste Schlachten um die Saar herum. Das Ganze endete mit der Kapitulation Frankreichs, der Annexion des Elsasses und des département Moselle durch das neue deutsche Reich, das Exil Napoleons und der Ausrufung der 3. Republik. Metz wurde erst nach der Kapitulation der französischen Regierung aufgegeben. Esch lag nun an der Grenze zum deutschen Reich.

 

Wir haben bereits erfahren, dass der Bau der zweiten Escher Hütte, der Brasseurs-Schmelz (später Terre Rouge) von den Kriegsereignissen verzögert wurden. Hatte es auch Kriegshandlungen um Esch gegeben? Konnten die Escher den Krieg direkt verspüren? Aus einem Beitrag des „Livre du Cinquantenaire“ von 1956, (das anlässlich der 100Jahrfeiern von 2006 neu aufgelegt wurde) erfahren wir, dass eine, geborene Escherin, Catherine Rousseau, „den Frauen beim Verfertigen von Leinenbandagen für die Verwundeten zur Hand ging“. Wurden Verwundete in Esch gepflegt? Flies berichtet, dass der spätere Hüttendirektor Pierre Brasseur, der gerade damit beschäftigt war, die Hütte auf Barburg zu errichten, eine deutsche Patrouille, die sich auf das luxemburgische Territorium verirrt hatte, wieder über die Grenze zurück führte, also nach Oth. Es scheint also keine Kampfhandlungen in Esch gegeben zu haben. Ein anderer alte Escher, der 1956 als 97jähriger noch lebte, Pierre Laux, genannt „Jang“, erinnert sich an seine Kindheit, wo noch manchem Bauern das Pferd von den Wölfen zerrissen wurde, wie er bei Dunkelheit auf den verbotenen Froschgang ging und in der Homescht (Quartier Belval) Krebse fing. Auf den 70er Krieg bezogen, berichtet er von 5 deutschen Husaren, die im benachbarten Audun-le-Tiche in den Betten erschossen wurden und „von dem Artilleriebeschuss der Festung Longwy, der den Boden bis nach Esch erzittern ließ“. Mein Urgroßvater, Jean-Pierre Gilson, der Schreinergeselle in Paris war, kehrte zu dieser Zeit aus Paris zurück nach Schifflingen mit einem langen Bajonett, das auch als Schwert zu benutzen war und nahm eine Stellung als Hilfskoch in der Metze-Schmelz an. Es ist nicht klar ob seine Rückkehr durch den Krieg bedingt war oder durch die Niederlage der Commune de Paris. Die sehr konservative luxemburgische Regierung, auch manchmal Regierung der Barone genannt (mit Baron de Tornaco, Baron de Blochhausen, de la Fontaine und de Colnet d’Huart) befürchtete Unruhen, die von den, aus Paris Heimkehrenden ausgehen könnten, wie das schon 1848 der Fall gewesen sein soll. Die Commune de Paris, der erste Arbeiterstaat, der aber nur 90 Tage überlebt hatte durfte, in Luxemburg keine Blüten treiben, so hofften sie. Eben erst war die Großindustrie im Entstehen, und das Land sollte bald große soziologischen Veränderungen erleben, die Industriearbeiterklasse würde sich früher oder später zu Wort melden.

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