3.27 - Eine Volkszählung von 1867

 

1937 gab Jean Pierre Theisen, Lehrer und Gründer der Stadtbibliothek, ein Werk „Beiträge zur Geschichte der Stadt Esch an der Alzette“ heraus, das wir bereits zitierten und das ein Verzeichnis der Hausnamen von 1867 enthält. Es gab zu diesem Zeitpunkt keine Nummerierung der Häuser in den einzelnen Strassen. Die Häuser trugen Namen, die nicht mit dem der bewohnenden Familie identisch sein musste sondern vielleicht mit einem Vorgängerbewohner. Diese Hausnamen blieben aber durchaus auch an einem Bewohner hängen, auch wenn er das besagte Haus bereits verlassen hatte. So waren die von den Hausnamen abgeleiteten Nennnamen üblich, wenn man erzählend von der Person sprach, ohne dass sie anwesend war. Redete man sie direkt an, nannte man sie beim richtigen Namen. Ein Beispiel macht das klarer: Der langjährige chauffeur des Schöffenrats, im Krieg nach Buchenwald deportiert, war „de Kubbere Jacques“. Angeredet wurde er mit Herr Braun, denn so hieß er in Wirklichkeit. Sein richtiger Vorname war übrigens Jean und nicht Jacques. Da in Luxemburg, und zwar bis heute,  sehr oft der eigentliche Vorname durch einen Rufnamen ersetzt wird, blieb vom zivilstandlichen Namen nichts mehr übrig. Man sollte sich also bitte nicht über die schwierige Handhabung der Namen unserer portugiesischen Bürger beklagen.

 

Heute werden diese Hausnamen nicht mehr gebraucht. Sie waren aber den alten Eschern durchaus auch nach dem 2. Weltkrieg noch geläufig. Theisens Verdienst ist es, die alten Hausnamen und die bürgerlichen Namen in Verbindung mit Strassen und Hausnummern zu bringen, die es 1937 gab. Seine Aufstellung wurde inzwischen von Anne Soisson digitalisiert. Seit 1937 hat das Stadtbild sich wiederum stark verändert und es wird immer schwieriger, die ursprünglichen Wohnsitze der alten Escher Familien nachzuvollziehen. In Theisens Aufstellung wurden aber nur die Hausbesitzer resp. Hauptmieter und ihre Ehefrauen genannt,  Kinder, Hauspersonal und Kostgänger wurden nur in Zahlen angegeben. Die Gesamtzahl der Einwohner wäre 1867, 2062 gewesen. Die offizielle Statistiktabelle erfasste deren 1988.

 

Hier einige der alten Hausnamen, die besonders spannend klingen:

 

Schlassmöllesch, Prettschen, Jôseps Märi, Häneress, Bongs Jéng, Fênsterméchesch, Pénessen, Tunnen Batty, Schlompjangs, Mompesch Hary, Fettessen Néckel, Mukessen, Pirre Jotti, Strabes Fiss, Beim Hunnekos, Jickeffen, Kloppe Märri, Beim Möes,  Thunnen Néckel, Wollefen Jak, Butzen, Beim Protzert.

 

Die komplette Liste der Straßennamen von 1867 war: Letzebrecher Strooss, Fobûr, Hondgaass  oder Hondheisener Gaass (heute rue Origer), Groussgaass, Schoulbierg, Brédéwé, Kirchstrooss, Zigeleistrooss (rue des Remparts zwischen rue de la Libération und place des Remparts), An der Lämkoll (nur 1 Haus in der rue du Canal), Um Gruef (place St.Jean und rue du Fossé ?), Um Deich (rue du Canal), Vinzenzstrooss, Am Bêrg (rue de la Montagne – près de la place Saint Michel), Nothombskopp (avenue de la Gare) und Nothombswé (avenue de la Gare zwischen der rue Boltgen und dem Boulevard Kennedy), Schoulgaass (rue de l’Ecole), Waassergaass, Clemensgässel (ein Teil der rue des Artisans entlang des Stadthauses), Handelsstrooss, Namenlos = heute avenue, Martinstrasse, Am Boltgen, Op der Plâz (pl. de l’Hôtel de Ville), Other Strooss (Bd. Kennedy), Um Dieswé, Antonius Strooss, op der klénger Platz (pl. Norbert Metz), Op der Schneier, Am Schefflénger Wé, An der Mitchen=beim Obenhalt (wo die Kutsche hielt, aber wo hielt sie ?), Bourgass (rue de la Fontaine), Beim Wäschbuer (Quartier).

 

Es ist interessant festzustellen, dass die Besiedlung außerhalb der früheren Mauern bereits einen beachtlichen Teil der Bevölkerung erfasste. Das war 25 Jahre zuvor noch nicht der Fall; man konnte damals nur 50 Häuser ausmachen, die außerhalb des alten Berings der Stadt lagen. 1867 wohnten von 2062 Einwohnern 983 außerhalb der alten Mauern, 1079 innerhalb.

 

1029 oder 49.9 % Einwohner waren Kinder, davon allerdings ein Teil erwachsene, die noch bei den Eltern wohnten. Zum Vergleich: 2006 waren es 27.4%. 6.8% sind Hausangestellte, die im Haushalt wohnen, eine Kategorie, die es heute nicht mehr gibt. 181 oder 8.7% sind Untermieter. Esch zählte 322 Haushalte, was 6.4 Personen pro Haushalt ausmachte. Der durchschnittliche Escher Haushalt von 2006 zählt 2.2 Personen.

 

1867, das waren 6 Jahre nach dem Bau der Eisenbahn nach Esch und drei Jahre vor der Inbetriebnahme der ersten Schmelz. Die Bahnstrecke führte nach Bettemburg und war noch nicht mit anderen Strecken verstrickt. Die Beschäftigung der Escher mit dem Transport von Minette muss trotz der Bahn noch immer erheblich gewesen sein auch wenn die Transportwege kürzer geworden waren. Zum Kai in Stadtbredimus mussten sie nicht mehr. 12 Familien beschäftigten sich als Fuhrmänner, 2 als Wagner. Die Zahl der Wirtsleute war auch bereits erheblich: 12, das macht ein Wirtshaus auf 171 Einwohner. 7 Weber arbeiteten noch in Esch obwohl die Hanffelder zum Teil dem Tagebau gewichen waren. 41 Familien lebten noch von der Landwirtschaft. Die Zahl der Arbeiter, die angegeben wird, ist bereits erheblich, doch sagt sie nichts aus, da ja nur Hausbesitzer oder Hauptmieter angegeben sind. Dass Esch noch keinen städtischen Charakter angenommen hatte, zeigt sich auch an der Tatsache, dass es keine Strasse gab, in der sich ausdrücklich die Geschäfte konzentrierten. Wenn, dann war es eher der Fall in der Vinzenzstrasse (mit 6 Geschäften und Ateliers) und in der Wassergasse als in der heutigen Handelsstrasse.

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