4.41 - Die Stadtweihe von 1906

 

Das Dokument, das die zweite Erhebung Eschs zur Stadt besiegelte stammt vom 29. Mai 1906 und trägt die Unterschrift des Großherzogs Wilhelm IV., dem Sohn Adolfs von Nassau. Die Unterschrift erfolgte auf dem Schloss Hohenburg in Bayern. Dieses mächtige Schloss war 1870 von Adolf erworben worden, nachdem er 1866 von den Preußen aus seinen Besitztümern in Hessen an der Lahn vertrieben worden war. Er hatte im preußisch-österreichischen Krieg auf der Verliererseite gestanden. Adolf war dann 1890 Großherzog in Luxemburg geworden. Bei seinem Tod 1905 folgte ihm der ewig kranke Sohn Wilhelm IV, der sich, wie sein Vater, nicht sehr viel im Land aufhielt. Er wurde für längere Zeiten von seiner Frau, Ana Maria von Braganza, einer Infantin von Portugal, als Regentin ersetzt.

Am 30. Mai fand eine Gemeinderatsitzung statt, in der die Frage aufgeworfen wurde, ob es nicht angebracht wäre, eine Feierlichkeit zum Anlass der Stadtweihe zu veranstalten. Da die Stadterhebung noch nicht im Memorial erschienen war, wurde vorerst davon abgesehen. In der Sitzung vom 25. Juni war das Festprogramm immer noch nicht erstellt. Die Feierlichkeiten fanden schließlich am 19. und 20. August statt. Heute wäre das nicht möglich, da Esch zu dieser Urlaubszeit wie ausgestorben ist. Die Escher, von damals, konnten es sich nicht leisten, in den Urlaub zu fahren. Es gab auch kaum bezahlten Urlaub. Die Geschäftsleute wehrten sich selbst dagegen, dem Personal Sonntags frei zu geben, denn der Sonntag war der beste Verkaufstag, da die Bergbau- und Hüttenarbeiter nur dann Zeit zum Einkaufen von Kleider oder Schuhen hatten oder zum Frisör zu gehen. Bürgermeister in spe Leo Metz weilte allerdings in der Kur.

Am Sonntag, dem 19. August 1906, zog ein historisch-allegorischer Umzug durch die neue Stadt Esch. „Von der Keltenzeit bis hinein ins Zeitalter der Elektrizität konnten die staunenden Zuschauer die Glanzperioden der jetzigen Stadt Esch an ihrem Auge vorbeiziehen sehen“ so berichtete der „arme Teufel“, und „...bei diesem wahrhaft großartigem Festzug, ... der wohl seinesgleichen noch nie hier zu Lande gefunden hat.“ Die Festrede vor dem versammelten Volk und nationalen Autoritäten wurde von Casper Mathes Spoo gehalten. Ein Festessen mit den Notabilitäten fand im Gemeindegebäude in der Alzettestraße statt. Am Morgen danach wurde der Bürgermeister Dominique Joseph Hoferlin begraben. Nachmittags zogen 1500 Schulkinder einen Blumenkorso mit folgendem Itinerar auf: Großstraße, Fleischerstraße (...), Handelsstraße, Alzettestraße, Bahnhofavenue, Bahnhofstraße (heute Bd. Kennedy), Luxemburgerstraße, Faubourgstraße, Großstraße und Marktplatz. Die Mädchen stellten Elsässerinnen, Winzerinnen, Schnitterinnen, Tyroler Mädels und Bretoninnen dar - man fragt sich warum – die Jungen stellen Scharfschützen, Soldatentrupps, Turnerscharen, Musikanten und Touristen dar. So hatte alles seine geschlechtliche Ordnung.

Weitere Attraktionen waren eine Theateraufführung im Freien (d’Juocht von Dicks), Konzerte und das Hochsteigen einer Mongolfiere mit Frau Käthe Paulus aus Frankfurt-am-Main als Passagierin, die unter dem Ballon auf einem Adler thronte. Sie landete abends in Zoufftgen.

 

1909 hatte eine Mehrheit von Liberalen und Sozialdemokraten die neue Regierung gebildet. In Esch kam Armand Spoo, ein Sohn von C.M. Spoo, Industrieller wie dieser, auf den Bürgermeisterstuhl auf dem er Leo Metz ablöste. In dieser Zeit wurde auch der Escher Volksbildungsverein gegründet, der eine gewisse aufklärerische Tätigkeit ausübte und als Stimulans der kulturellen Aktivität wirkte. Spoo überwarf sich mit dem Stadtarchitekten Paul Flesch, einer schillernden, freidenkenden und republikanischen Persönlichkeit. Flesch wurde entlassen. Er legte seinen Fall 1911 in einer Verteidigungsschrift dar. Armand Spoo wurde bald von Bürgermeister Jean-Pierre Michels abgelöst.

Unter Jean-Pierre Michels wurde der Stadtpark auf dem Galgenberg eingeweiht. Bis dahin hatten alle Volksfeste im Clair-Chène-Wald stattgefunden, dem Escher Stadtwald. Als nun der neue Bürgermeister diesen an die Aachener Hüttengesellschaft verkaufte, und nur ein winziger Teil von 2 ha übrig blieb, kam die Idee auf, einen Teil des Galgenbergs, der bereits tagebaumässig völlig ausgebeutet war, in einen Stadtpark um zu bauen. Der Planer des neuen Parks war der Präsident des Syndicat d’Initiative, André Koch.

Zu Beginn des Schuljahres 1912 kam das neue Schulgesetz der liberal- sozialdemokratischen Regierung zur Anwendung. Der Klerus verweigerte daraufhin das Abhalten des katholischen Unterrichts in den Schulen. Die Gemeindeverwaltung ersetzte die Unterrichtsstunden durch Turnen, Zeichnen und Baden.

1914 entstanden, auf die private Initiative von Professor Johann Pfeiffer hin, theoretische Kurse für Lehrlinge und junge Arbeiter der Hütten. Die Kurse fanden in der neuen Brill-Primärschule an den freien Nachmittagen, abends und Sonntags morgens statt. Es war der zaghafte Beginn der Escher Gewerbeschule. Die Kurse wurden je zu einem Drittel von der Stadt Esch, dem Staat und den Hütten getragen. Das Jahr 1914 sollte aber ein weit bedeutenderes Ereignis mit sich bringen... der erste Weltkrieg stand vor der Tür. 

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