3.25 - 1866: Cholera in Esch

 

Die Cholera ist eine Durchfallkrankheit, die bis 1817 auf den indischen Subkontinent begrenzt war. Ab diesem Jahr verbreitet sie sich mit dem steigenden Personenverkehr im kolonialen Kontext in andere Teile Asiens, dem mittleren Orient und Teilen Afrikas. Später erreichte sie auch Europa und erst 1991 Lateinamerika. 1883 erst wurde der Bazillus „vibrio cholerae“ von Koch in Ägypten isoliert. Diese Krankheit verbreitet sich bis heute in verschiedenen Wellen von Pandemien. 2006 waren wir in der 7. Pandemie, doch sind in der Regel nur noch arme Gegenden betroffen, vor allem in Afrika. 1998 gab es 20.000 Fälle, mit 1.000 Todesopfern im Kriegsgebiet Uganda.

 

Der „vibrio cholerae“ ist ein äußerst mobiler Bazillus, der durch verseuchtes Wasser oder verseuchte Lebensmittel übertragen wird. Einmal im Darm angelangt, kann der Bazillus dem Körper an einem Tag bis zu 15 Liter Flüssigkeit und Elektrolyten (Salze) entziehen. Die Menschen überleben knapp oder sterben innerhalb von 1-3 Tagen. Die wichtigste Behandlung besteht in der massiven Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten. Das war 1866, als die Choleraepidemie bei uns ausbrach, noch alles nicht gut bekannt Sie wütete im ganzen Land, aber ganz besonders in Diekirch und in Esch. Am 29. Juni 1866 wurde Johann Noel, ein pensionierter Landbote infiziert und starb noch am selben Tag. Der letzte Cholerakranke starb am 20. Oktober. 116 Escher fanden den Tod, aber 800 Einwohner von 1800 waren erkrankt. Es gab in Esch damals keinen Arzt und kein Spital. Doktor Theodor de Wacquant kam mit Pferd und Kutsche von Foetz, ein zweiter Arzt, Doktor Funck aus Luxemburg, kam zur Aushilfe mit dem Zug.

 

Die von der Seuche befallenen Arbeiter aus dem Erzbau wurden in einem provisorisch hergerichteten „Stallgebäude Hammerel“ untergebracht. Ihre Zahl war in einigen Jahren sprunghaft angestiegen. ohne dass bereits neuer Wohnraum geschaffen worden wäre. Die Promiskuität sollte noch lange Jahre ein Escher Problem bleiben. 

 

Diese Cholerazeit muss entsetzlich gewesen sein. Flies berichtet, dass keine Totenglocken mehr geläutet wurden und dass die Toten sofort eingesargt und im neu gebauten St. Joseffriedhof begraben wurden. Mehrmals wurde 5 Leichen an einem Tag begraben. Nur die allernächsten Verwandten nahmen am Begräbnis teil. Die Geistlichen trugen bei den Begräbnissen ein Desinfektionsmittel im Mund. Nach einem von ihnen, der auch an Cholera starb, Jacques Kayser, wurde die kleine Strasse zwischen der Vinzenzstrasse und der Wassergasse an der place de l’Ancienne Synagogue benannt. Die Totengräber waren, um das alles durch zu halten, mit Alkohol übersättigt und es bestand mitunter die Gefahr, dass einer zu viel im Grabloch lag, so dass die Pfarrer auch zu den Seilen griffen, um die Särge hinunter zu lassen.

 

Es bedarf einer Erklärung, warum gerade in Diekirch und Esch die Epidemie besonders schlimm wütete. Beide Ortschaften glichen sich in ihrer urbanistischen Struktur: kleine Flecken, die noch die gedrängte Form innerhalb der ehemaligen, mittelalterlichen Festungsmauern besaßen. In Esch kam die Überbevölkerung hinzu. In beiden Orten gab es kein fließendes Leitungswasser in den Häusern, die Kanalisationen waren noch nicht gebaut.

 

In Esch kam die ungelöste Situation mit dem Altwasser vergangener Umleitungen der Alzette hinzu. Die heutige place de l’Hôtel de Ville war ein sumpfiges Gelände, das von den Abflüssen der höher gelegenen Ortsteile, des Burgronn und der Quellen des Galgenbergs übersättigt wurde. Der südöstliche Stadtgraben war nicht ganz aufgefüllt und das ganze Gelände lag tiefer als heute. In der heutigen alten Luxemburgstrasse, genauer gesagt, unter deren heutigen östlichen Häuserzeile, floss ein Mühlenbach, der die Schlossmühle speiste. (Übrigens war Esch bekannt für seine Frösche, mit denen auch Handel getrieben wurde und die Einwohner wurden folgerichtig im Ländchen „Escher Frächen“ genannt. Die Frösche wurden eingefangen und in zugedeckten Fässern bis zum Verkauf aufbewahrt.) Esch war immer eine Wasserstadt und es gibt nicht viel Gefälle in Schifflinger Richtung. Das stagnierende, in der Sommerzeit erhitzte Wasser mag ein idealer Inkubator für die Cholerabazillen gewesen sein.  Es ist an zu nehmen, dass das Escher Brunnenwasser von 1865 nicht die beste Qualität hatte.

 

Heute ist die Tradition verloren gegangen, die Escher als „Escher Fräschen“ zu bezeichnen. Das Luxemburger Wörterbuch erinnert sich noch daran:

« Déi Escher Fräschen,

Mat hieren laangen Täschen,

Mat hieren verbrannte Suelen,

Der Däiwel soll se huelen !“

Die Spottverse gehören noch gedeutet. Haben die Escher lange Taschen, um die Frösche hineinzustecken oder hatten sie den Ruf zu stehlen ? Sind die verbrannten Sohlen eine Erinnerung an den Brand Eschs in der französischen Revolution ?

 

Dazu kam, dass die Kenntnisse über die Behandlung der Cholerakranken unterentwickelt waren. Die Vorstöße der französischen Revolution in Sachen Hygiene und öffentliche Gesundheit hatten wohl keine Fortsetzung gefunden. (Unter den Franzosen hatte es bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Pockenimpfungen gegeben, was ganz erstaunlich ist).  Es bestand ein diffuses Bewusstsein darüber, dass die Krankheit durch schlechtes Trinkwasser gefördert würde. Diese lobenswerte Einsicht führte zu einem fatalen, tragikomischen Verhalten: man verwehrte den durstigen Kranken das Trinkwasser, um die Krankheit nicht zu verschärfen. Somit starben sie in kürzester Zeit an Dehydratation.  Mit abgekochtem Wasser hätte man vielleicht vielen Patienten helfen können. Die Choleraepidemie von 1866 sollte noch lange im kollektiven Gedächtnis der Escher bleiben.

 

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