3.34  - Die politisch-kulturelle Einflussnahme Deutschlands und Belgiens auf Luxemburg in der Belle Epoque

 

Als 1906 die Stadtrechte zum zweiten Mal an die Stadt Esch vergeben wurden, wurde dies mit dem üblichen historischen Umzug und reichlichem Einsatz der Escher Kinder in Festkleidung gefeiert. Im Umzug war die Referenz auf die Krone deutlich zu sehen. Der Escher Lokalpatriotismus wurde mit dem Luxemburgischen Nationalpatriotismus gekoppelt. Dieser Patriotismus war eben gerade in der Krise. Seit der Abtrennung der französisch sprechenden Kantone und des Kantons Arlon an Belgien im Jahre 1839 war ein Zwergstaat übrig geblieben, der eine gewisse kulturelle Identität und Kohärenz aufgrund der vorherrschenden luxemburgischen Sprache aufzuweisen hatte. Das hatte zur Entwicklung einer sehr provinziellen Mundartliteratur geführt. Ankerpunkte des Nationalbewusstseins waren die Altersforschung, die neue wirtschaftliche Entwicklung, wie der Bau des „Feierwôn“, die Nostalgie der Auswanderer nach Amerika. Man sollte davon ausgehen, dass sich ab 1848 ein Nationalbewusstsein entwickelt hatte, das 1906 aber nicht völlig stabilisiert war. Die politische Führung lag in den Händen von Einheimischen, dominierend war in diesen ersten Jahren des 20. Jahrhunderts die Figur von Staatsminister Emile Eyschen.

 

Vor dem 1870er Krieg zwischen Frankreich und Deutschland war vorausgesagt worden, dass die siegende Großmacht sich das Großherzogtum einverleiben würde. Daraus war nichts geworden. Die Führer des neuen 2. Deutschen Reiches begnügten sich damit, ihre wirtschaftliche Hegemonie auszuüben. Von französischer Seite aus gab es zwischen 1871 und 1914 überhaupt keine luxemburgische Politik. Durch den Erbfolgevertrag in der Dynastie der Nassauer war die Krone 1890, nach dem Tod des holländischen König-Großherzogs  Wilhelm III, der keine männlichen Nachkommen hatte, an den 73 jährigen, protestantischen Nassauer Adolf gekommen, danach an dessen Sohn Wilhelm IV. Der belgische König Leopold hatte vor der Thronbesteigung vorsichtig angeklopft, ob Adolf auch wirklich in Sinne hätte nach Luxemburg zu gehen.

 

Adolf wie Wilhelm IV nahmen nur wenig am öffentlichen Leben teil und verbrachten den meisten Teil in ihren Schlössern in Bayern. Diese hatten sie gegen jene im Nassauischen eingetauscht nachdem sie nach der Niederlage im deutsch-österreichischen Krieg enteignet worden waren. Wilhelm war mit der portugiesischen Infantin Ana Maria verheiratet. Die vielen Töchter waren katholisch getauft. Wilhelm war schwer krank und konnte meistens die Staatsgeschäfte nicht führen. So wurde seine Frau mehrmals für längere Zeit als Regentin ernannt und Luxemburg hatte eine regierende portugiesische Großherzogin. Das war auch im Escher Jubiläumsjahr 1906 der Fall. Von Adolf über Wilhelm IV. bis zur Großherzogin Marie Adelheid war der ganze Hofstaat deutsch. Wilhelm starb 1912 und wurde durch seine älteste Tochter, Marie-Adelheid ersetzt.

 

In diesen Jahren stieg auch der Nationalismus in Europa an. Die belgischen Nationalisten betrachteten die Eigenständigkeit des Großherzogtums als ein Provisorium. Trausch zitiert den belgischen Publizisten  Jules Destrée: „…il ne s’agit pas, bien entendu, de préconiser une annexion qui, d’ailleurs , ne dépendrait pas de nos désirs, mais simplement de rapprocher deux peuples, momentanément séparés et pourtant bien faits pour s’entendre“. « Momentanément séparés » bricht Bände. Andere Quellen redeten von « un lambeau injustement arraché à notre petite patrie » und « une sorte d’Alsace-Lorraine, notre cher Grand-Duché ? » Der belgische Botschafter sprach, anlässlich der « Fête du Roi », sich auf die Luxemburger beziehend, von « nos frères séparés », begrüßte dann aber anschließend die Wohltat der Unabhängigkeit.

 

Die deutschen Nationalisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts hingegen verstanden sich nicht auf Nüancen. Der bekannte Historiker von Treitschke (von Trausch zitiert): „Also mästete sich fortan an Deutschlands mächtigem Stamme die ekelhafte Schmarotzerpflanze der „Nation“ luxembourgeoise, ein Blendlingsvolk ohne Vaterland und darum ohne Ehre.“ Treitschke entsetzte sich über den frankophilen Einfluss der Bourgeoisie. Solche Zitate waren aber nicht dazu angetan, den kulturellen Einfluss Deutschlands in Luxemburg zu steigern. Die pro-französischen Sympathien beschränkten sich nicht auf die Bourgeoisie. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch sind sie immer wieder durchgedrungen. Die Tradition des „Tour de France“, die gerade im Landessüden und in Esch lebendig war, war nicht abgeklungen, sondern hatte sich noch verstärkt. Laut Trausch lebten um die Jahrhundertwende 17.000 Luxemburger in Paris und Umgebung, das waren 7,3% der Gesamtbevölkerung des Landes gewesen. Paris war mit Luxemburg-Stadt „die größte luxemburgische Stadt“, das ist heute aus dem öffentlichen Gedächtnis fast ganz verschwunden.

 

Der bedeutendste Transmissionsriemen der deutschen Kultur in Luxemburg war wohl die katholische Kirche. Der Klerus war nicht nur sprachlich auf Deutschland ausgerichtet. Trausch berichtet: „Der Bischof von Luxemburg, der unmittelbar dem heiligen Stuhl unterstand, nahm des Öfteren an den deutschen Bischofskonferenzen teil. Das katholische Vereinswesen bildete sich weitgehend nach deutschem Muster aus: Volksverein, katholische Arbeitervereine, Gesellenvereine, Jünglingsvereine usw.“ Diese Orientierung der Kirche wurde durch ihre Reaktion auf die jakobinischen Gesetze von 1905 in Frankreich noch verstärkt, welche die Trennung von Kirche und Staat vollzogen.

 

Die Widersprüche zwischen dem objektiven Prozess der Germanisierung und der traditionellen Preußenfeindlichkeit und den französischen Sympathien brachte manch einen ins Wanken. 1906 schrieb Franz Clement, Luxemburg möge „sich auf sich selbst besinnen und echte deutsche Kultur annehmen. Das geschieht vollauf erst, wenn die Muttersprache auch Amtssprache wird.“ Der linksliberale Clement war gar nicht besonders deutschfreundlich; er wurde im 1. Weltkrieg von den Deutschen eingekerkert und im 2. Weltkrieg 1942 im KZ ermordet. Er glaubte wohl nur, man müsse eine Verwaltungs- und Erziehungspraxis an eine objektive Entwicklung anpassen. Dasselbe passierte dem sozialistischen Leader Dr. Michel Welter 1902 in der Kammer, als die Wirtschaftsverträge mit Deutschland erneuert wurden. Welter, der ein sauberes Französisch sprechen konnte, hielt seine Rede auf Deutsch. Welter: „..wir werden daran denken müssen, der deutschen Sprache bei uns mehr Geltung zu verschaffen, wir werden das Zweisprachensystem aufgeben und uns an eine einzige Sprache, die deutsche, halten müssen, besonders in der Primärschule.“ Welter wurde während der Rede kontestiert und stand in der Kammer sehr isoliert mit dieser Meinung da. Welter sah damals das Französische als die Sprache der Privilegierten an, mit der sie das Volk in der Unterdrückung hielten. Auch seine Haltung war keinesfalls vom deutschen Nationalismus diktiert. Es ist nicht auszumachen, inwiefern er mit der Gründung der ersten großen Gewerkschaften in Verbindung zu bringen ist, welche die Organisationsformen der deutschen Arbeiterbewegung übernahmen.

 

Mit dem 1. Weltkrieg sollte diese germanisierende Entwicklung jäh unterbrochen werden. Die Großherzogin Marie-Adelheid sollte abdanken und ins Kloster gehen. Es wird dann zu einer Konkurrenz Belgien-Frankreich kommen, was die politisch-kulturelle Hegemonie in Luxemburg betrifft.

 

© Copyright Frank Jost, Weitergabe gestattet nur mit Quellenangabe 

Download
3.34.pdf
Adobe Acrobat Dokument 60.0 KB