2.22. Die zweite <<Entdeckung>> der Minette

 

In Hayange, im Tal der Fensch, knapp 20 km Luftlinie von Esch entfernt, hat man Balggeschwülste (loupe) aus der Römerzeit gefunden; es handelt sich um eine verschmolzene Masse von Schlacke und Eisen, die nach dem Guss in einem Schmelzofen übrig bleibt. In Knutange („Kneiten“) fand man Tieföfen aus der Merowingerzeit. Seit kurzem wissen wir von den archäologischen Ausgrabungen auf der Escher „Gleicht“, dass es eine wohl 1500jährige Ausbeutung von Erzen gegeben hat, die nach der Merowingerzeit oder erst nach der Frankenzeit, also um das Jahr 1000 zum erliegen kam. Eine Ausstellung der Funde aus den Grabungen der Gleicht wurde einst im Escher Rathaus gezeigt und 2006 im Cockerillgebäude im Ellergrund. Soweit die archäologischen Erkenntnisse bisher erhellen, gab es zwischen der Jahrtausendwende und zur Mitte des 19. Jahrhunderts keine weitere Ausbeutung der Erze in Esch und Umgebung. 

 

So nicht in Hayange. Im 12. Jahrhundert tritt ein gewisser Thierry de Hayange dem Grafen Thibaut von Bar die Ausbeutung der Eisenmine von Hayange ab. Das Dokument ist bekannt. Die erste Hütte von Hayange ist für das Jahr 1323 belegt. Es wurden Gebrauchsgegenstände hergestellt, Hufeisen, Gefäße, Ketten, Kamin“tâken“, eiserne Stangen, später, vom 15. Jahrhundert an, Waffen und Geschosse. Die Eisenproduktion in der Gegend von Hayange wurde vom dreißigjährigen Krieg, im 17. Jahrhundert, stark beeinträchtigt. Zwei Schmieden oder kleine Hütten blieben aber immer in Betrieb: Rodolphe und Marolles.

 

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts beauftragen die französischen Militärautoritäten Jean-Martin de Wendel die Hütten von Hayange zu übernehmen und für die Kriegsproduktion zu arbeiten. Wendel wurde schnell reich, ließ sich ein Schloss bauen und wurde geadelt. In der französischen Revolution werden die Hütten an einen gewissen Jacomety verkauft, aber bereits 1803 wieder von einem Mittelsmann der de Wendel wieder aufgekauft. Die Familie de Wendel stieg zu einer der wichtigsten Stahlhersteller Europas auf. 

 

Die de Wendels hatten den Vorteil, dass sie ziemlich früh im 19. Jahrhundert auf Steinkohle aus der Nähe zurückgreifen konnten und die Minette vorteilhafter schmelzen konnten als das mit Holzkohle der Fall war. Die ersten Schienen, die sie produzierten, waren aus Eisen. Die Gewinnung von Stahl war abhängig von einem Verfahren, das den Schwefel aus der oolithischen Minette herausziehen konnte. Solche Verfahren hatte es in elementarer Form zwar schon in alten Zeiten (durch Zusatz von Knochen ?) gegeben, doch waren diese nicht für die industrielle Großproduktion geeignet. 

 

Mehrere Faktoren erklären, warum unsere Minette solange nicht gebraucht wurde, obwohl sie der Geschichte unserer Gegend eine ganz andere Wende gegeben hätte. Der Graf von Bar war entweder cleverer wie der von Luxemburg und kümmerte sich um das wirtschaftliche Potential seines Besitzes oder aber der Luxemburgische Graf konnte sich mit der Produktion von Eisen aus den reichlich vorhandenen Rasenerzen quer durch die Grafschaft begnügen.

 

Da die Eisenproduktion mit Minette in Lothringen nie wirklich abgebrochen worden war, war es ein Leichtes, als die französischen Könige aus kriegerischen Gründen ihre Eisenproduktion steigern wollten, auf den Ausbau bereits bestehender Anlagen zu setzen und talentierte Leute, wie dieser Jean-Martin Wendel, damit zu beauftragen und sie auch reichlich dafür zu belohnen. So konnte dann – was die Könige noch nicht wissen konnten - auch eine ursprüngliche Kapitalakkumulation gemacht werden, die das Umsetzen auf die Schwerindustrie des 19. Jahrhunderts ermöglichte. Die kleinen Hütten der Familie Metz in Berburg, Eich, Fischbach, Grundhof und Simmern, die von Colmar-Berg, die dem König gehörte und die von Steinfort, die von Guillaume Pescatore gegründet, dann von den Gebrüder Collart aufgekauft worden war, und die alle mit Rasenerzen und Holzkohle arbeiteten, erreichten nicht annähernd die Dimensionen, die die Wendelschen Betriebe bereits vor dem Thomasverfahren erreicht hatten. 

 

Die luxemburgische Eisenproduktion drohte unter dem holländischen Regime ganz zum Erliegen zu kommen, denn sie war im Exportgeschäft nicht mehr konkurrenzfähig, weil sie die Resultate der Hochöfen, die mit Kohle betrieben wurden, nicht erreichen konnte. Der Import von Kohle war aber mit Pferdewagen nicht im großen Maßstab zu bewerkstelligen. Nach dem Baustopp des Maas-Moselkanals im Jahre 1830 – der, in den Grenzen des heutigen Grossherzogzums, nur Spuren auf der Wasserscheide in Hoffelt hinterläßt - waren die Perspektiven nicht günstig. Es waren nur etwa 40 Kilometer fertig gestellt, die meisten in der Ourthe bei Lüttich. Der Tunnel bei Hoffelt war soweit fertig gestellt; mit der Kanalisierung von Clerve, Sauer und Alzette (und dem Stichkanal von Ettelbrück nach Mersch), war noch nicht begonnen worden. Ohne Eisenbahnen würde es keine Zukunft geben.

 

Es ist wohl ein schlechter Witz, dass die Metz in Eich nicht gewusst hätten, dass es im Süden Luxemburg dieselben geologischen Bedingungen gab wie etwas südlicher in Lothringen. Die, bereits in den vorherigen Kapiteln in Frage gestellte, rührende Geschichte um die Entdeckung der Minette durch Renaudin („méng léif Jong et ass sech jo de la mine !“) sollte wirklich aus der Escher Lokalgeschichte gestrichen werden. Die Metz kannten sehr wohl die Produktion in Lothringen, sie wussten, dass in Lasauvage bereits Minette mit geschmolzen wurde, sie kannten die Geologie im Süden des Landes. Vorerst waren die Rasenerze noch vorteilhafter, weil sie eisenhaltiger waren als die Minette. Für eine Großproduktion musste mit Minette und Koks gearbeitet werden; bei dieser war der Gestehungspreis die Hälfte.  

 

Metz errichtet 1847 Kokshochöfen in Eich, so dass die Escher Minette dort hätte verhüttet werden können. Doch braucht die Minette viel mehr Koks als die Rasenerze. Ab 1850 wurden laut Joseph Wagner (livre du Cinquantenaire) in Eich ein Gemisch von Minette vom Katzenberg mit Rasenerz aus Mamer mit Koks geschmolzen. Das ist der Beginn der neuzeitlichen Erzförderung in Esch. Von der Rentabilität her mag dies größere Probleme gestellt haben. Die beiden Rohstoffe Koks und Eisenherz mussten mit Karren aus zwei verschiedenen Richtungen heran geschaffen werden, aus der Saar und aus Esch. Der Neubau der Strasse Esch – Luxemburg erleichterte das Unterfangen nur wenig. Die erste Eisenbahnlinie nach Esch kam erst 1859-60. Auf die Dauer war klar, dass die Hütten entweder zur Kohle oder zum Erz gebracht werden mussten. Metz und Tesch aus Arlon errichteten ihr modernes Hüttenwerk nicht im Süden Luxemburgs, sondern in Burbach an der Saar. Einige Jahre wurde die Minette nun von Esch nach Steinbrücken und dann über die neue Dreikantonsstrasse nach Stadtbredimus gebracht, wo sie eingeschifft und die Mosel hinunter und die Saar hinauf nach Burbach per Schiff gebracht wurde. Diese Transporte wurden vor allem durch die Gesellschaften Tabary und Josten durchgeführt. Die Karren mit einem Pferd schafften maximal eine Tonne Erz. Um einen Frachtkahn zu füllen, brauchte man zwischen 25 und 40 Karren. Die mit zwei Pferden schafften nur etwas mehr als eineinhalb Tonnen. 

 

1866 wurde dann auch in Dommeldingen eine Hütte errichtet, die an der neuen Bahnstrecke nach Lüttich lag. Diese ganze Entwicklung war also in einigen Jahren erfolgt, doch hatte die Minetteregion, außer der Erzgewinnung, noch keine einzige industrielle Einrichtungen bekommen. Der Escher Schöffenrat versuchte im Jahre 1858 auch selbst Minette schürfen zu lassen und diese zu verkaufen, um die geplanten größeren Bauprojekte zu finanzieren. Diese Initiative scheint dann keine Folgen gehabt zu haben. 

 

Zu einer eigenen Eisenproduktion in Esch kam es erst nach 1870, als die Metzer Schmelz im Bering des Berwartschlosses errichtet wurde und und die Brasseurschmelz auf Barburg.

 

© Copyright Frank Jost, Weitergabe gestattet nur mit Quellenangabe 

Download
2.22.pdf
Adobe Acrobat Dokument 53.6 KB