4. 39 -  Esch im deutschen Stil

 

 

Esch war zum Zentrum der wirtschaftlichen Aktivität des Landes geworden. Die  „Brasseurschmelz“  (Rothe Erde – Terre Rouge), inzwischen weitgehend unter deutscher Kontrolle, und die „Metzeschmelz“, die 1911 in der ARBED aufgehen sollte, bildeten den Kern der neuen Eisenindustrie. Flies weiss zu berichten dass, als am 14. September 1906 die 13 km lange Drahtseilbahn Ottange- Rumelange- Esch- Belvaux- Differdange eingeweiht wurde, die Buggis abwechselnd mit deutschen und luxemburgischen Fahnen geschmückt waren. Die Mark war durchaus als Zweitwährung neben dem Franken im Gebrauch. 1909 sollte der Bau der Adolf-Emil-Hütte (später Arbed-Belval) anstelle des alten Gemeindewaldes Clair-Chène beginnen. 92 ha wurden von der Gemeindeverwaltung an die Besitzer abgestossen. Die Eisenindustrie brachte zusätzliche wirtschaftliche Aktivitäten mit sich: Bauunternehmen, Zulieferbetriebe, Nebenaktivitäten. So wurde  1912 das Escher Zementwerk errichtet.

 

Die zweitstärkste Nationalität stellten in Esch noch nicht die Italiener sondern die Deutschen. Die deutsche Einflussnahme auf die Industrie wirkte sich stark auf die Namensgebung der neuen Escher Straßen aus: Nachdem die Brasseurschmelz bereits 1892 in den Besitz des Aachener Hütten-Aktienvereins gekommen war, gab es eine Aachenerstraße (heute rue Renaudin) eine Talbotstraße und eine Piedboeufstraße die nach Führungskräften dieser Hütten benannt wurden.  1907 kam es zu einer Fusion der Aachener Gesellschaft mit dem Schalker Gruben- und Hüttenverein, so dass in Esch auch eine Gelsenkirchenerstraße benannt wurde (heute rue Léon Weyrich). Damit war die Germanisierung des Stadtbildes nicht abgeschlossen. Verschiedene dieser Straßen bestanden fast ausschliesslich aus Werkswohnungen, andere aber nicht.

 

Die Rhein-Elbestraße (heute rue Dr.Welter) entsprach einer anderen Kapitalgruppe, die auf die lokale Wirtschaft Einfluss genommen hatte: die Rhein-Elbe-Bergbau AG war eine Filiale der Gelsenkirchener. Laut Joseph Flies wohnten in dieser Straße, sowie in der Aachener und Rhein-Elbestraße fast nur Deutsche. Sie bildeten die qualifizierte Schicht der Arbeitskräfte.

 

 

Als die Adolf-Emil-Hütte entstand, genannt nach ihren Direktoren, den Brüdern Adolf und Emil Kirdorf, musste auch eine Adolf-Emilstraße und ein Adolf-Emilplatz her (heute Stalingrad). Diese Gesellschaft hatte noch weiteres Führungspersonal, das auf dem Stadtplan verewigt werden wollte.

 

 

Im Direktionsstab der Adolf-Emilhütte sassen Eberhard Höter, Alexander Schöller, Emil von Rath und Jules Margery. So musste es eine Höterstraße (heute rue Bessemer), eine Schöllerstraße (heute avenue des Terres Rouges), eine von Rathstraße (heute rue des Mines ?) und eine Margerystraße (heute rue des Fondeurs)  geben.

 

Die heute befremdende Sitte, Straßen nach noch lebenden Personen zu benennen, war in dieser Zeit offenbar nicht anstössig. Bald werden andere Straßen nach den Bauunternehmern genannt werden, die sie errichteten: Lefèvre, Kremer, Caffaro... Sieht man sich die Bilder der damaligen Unternehmer an, wie sie sich mit ihrem stark entwickelten Ego mit Zylinder, Zigarre und hochstylisiertem Bart ableuchten liessen, dann versteht man, dass sie sich nicht scheuten, nach solchen Ehren zu streben.

 

Ebenfalls scheint es in der Bevölkerung keine Ablehnung gegen diese Inflation deutscher Straßennamen  gegeben zu haben. Die Periode von 1842, mit dem Eintritt Luxemburgs in den deutschen Zollverein bis zum 1. Weltkrieg war von einer zunehmenden Germanisierung nicht nur des wirtschaftlichen sondern auch des kulturellen Lebens gekennzeichnet. Daran erinnert man sich heute nicht mehr so gern. Auch die liberale und ehemals frankophile Bourgeoisie und linke Intellektuelle machten im Trend mit. Das noch wenig entwickelte Klassenbewusstsein der schaffenden Bevölkerung brachte keine Reaktionen hervor. Gab es denn keine besseren Vorbilder als die Kapitalisten ?

 

Die Straßenbenennungen fallen grösstenteils unter die Amtszeit des Bürgermeisters und Hüttenherrn Leo Metz. Nur wenige dieser deutschen Straßennamen haben den 1. Weltkrieg lange überlebt. Den Straßennamen Leo Metz hingegen gibt es immer noch. Die Frage ist berechtigt, inwiefern Metz sich mit den Straßenbenennungen eine Festigung seiner Position in der Eisenindustrie erkaufte. Schließlich war sein ehemaliger Konkurrent Brasseur, der dem Andrang des deutschen Kapitals nicht standhalten konnte, ganz aus der Industrie verdrängt worden, so dass er sich ins Notariatswesen zurückgezogen hatte.

 

Nach der deutschen Niederlage von 1918 und der Verdrängung des deutschen Kapitals zu Gunsten des französischen und des belgischen, wurden nach und nach auch die Straßen umbenannt, ja es gab sogar eine kontrastierende Initiative, Esch-sur-Alzette in „Aix-sur-Alzette“ umzubenennen.

 

Die Stadt Esch hat ihr deutsches architektonisches Erbe trotzdem behalten. Die Kolonien deutschen Stils sind nun einmal die schönsten der Stadt, da sie gar nicht eintönig sind und verschiedene, geschickt zusammengesetzte Häusertypen begreifen; man sehe sich in den Vierteln um die Léon Weyrichstraße und nahe dem Beneluxplatz, gleich rechts zu Beginn der Ehleringerstraße um. Auch das schöne Stammgebäude des Musikkonservatoriums, sowie einige stattlichen Villen in dieser Umgebung wurden damals im deutschen Stil entworfen; Esch braucht sich ihrer nicht zu schämen. 

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