1.12.  Hexenverfolgungen in Esch um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert (corrigendum)

 

Aus dem Jahre 1601 ist eine Hexenverfolgung in Esch bekannt, die mit dem Tode des Opfers, Maria, der Frau von Simon(d) Müller, endete und die manches aussagt über solche erbärmlich Vorgänge. In Wirklichkeit gab es eine wohnwitzige Welle von Hexenverfolgungen.

 

1588 wurde eine unbenannte Person wegen Ehebruchs und Hexerei mit Verbannung und einer Busse von 50 Goldgulden verurteilt. Im selben Jahr wurde Claus Spaeder, vormals Meier, das heißt Bürgermeister, wegen Hexerei vom Leben zum Tod hingerichtet. Der Verkauf seiner beschlagnahmten Güter erbrachte 1846 Carolusgulden, die zu zwei Drittel an den Herzogen und zu einem Drittel ans Gericht gingen. Die Gerichtskosten wurden auch zu 2 Drittel vom Herzog und zu einem Drittel vom Gericht getragen. 1590 wurden wegen Zauberei mit dem Feuer hingerichtet Peter Menckes und seine Frau Katharina, Ändrie und Jehan Büffges, die Frau von Jacob Gross. Zur selben Zeit war die Bevölkerung derart zurückgegangen, dass man sich die Frage stellen muss, wer überhaupt noch in Esch lebte. Krieg, Seuchen und eine Feuersbrunst im Jahre 1597 trieben die Massenpsychologie in den Massenwahn. Heinrich Becker und Jehan Forschert starben auf dem Scheiterhaufen wegen vorsätzlicher Brandstiftung und Zauberei. Die beiden hatten unter der Folter andere Hexen genannt: eine Müllerfrau wurde im Gefängnis von der Bevölkerung gesteinigt. Katharina Tibes entfloh, wurde gehetzt und starb auf der Flucht. Die Frau von Theis Hoffmann, die Frau des langen Schneiders, Suzanne Scherren, Marie, die Frau von Claus Schneiders sowie Theis Hoffmann starben auf dem Scheiterhaufen. (Aus Tony Jungblut: Das Henkerbuch 1953).

 

1601 folgte, wie gesagt, Maria, Ehefrau Müller. Sie war am 1. April erstmals vernommen und am 1. August hingerichtet worden. Am 23. August 1601 erstellte der Richter Jan Kauffman eine Ausgabenerklärung zum ganzen Verfahren, die es in sich hat und vier klein gedruckte Seiten einnimmt. Es gab viel zu verdienen bei einem Hexenprozess vor allem für den Notar, der Sittard hieß und nicht aus Esch stammte. Die Mitglieder des Schöffengerichts, der Schreiber, der Bote, der Prokurator, der Schulmeister, der Pfarrer, alle bedienten sich, auch das Pferd des Notars wird erwähnt. Was sich am 30. Juli 1601 abspielte, ist unsäglich: Es war der Tag der „peinlichen Befragung“, lies der inquisitorischen Vernehmung unter Folter. Dafür bekam das Schöffengericht einmal 2 Goldgulden und 12 Stüber. Da die armen Schweine bei ihrer anstrengenden Tätigkeit die Mahlzeit überspringen mussten, genehmigten sie sich nochmals das Doppelte: 4 Goldgulden und 24 Stüber. Wein mussten sie bei der peinlichen Befragung und bei der Hinrichtung haben und zwar für 27 ein halb Stüber.  Der Pfarrer musste den Folterplatz exorzisieren und bekam dafür einen Goldgulden ! Insgesamt verdiente der Notar 42 Goldgulden und 2 Stüber, (falls der Goldgulden, wie ich annehme, in 28 Stüber aufgeteilt war). Im Vergleich dazu wurde die Kost für die Verurteilte zwischen dem 27. Juni und dem 1. August mit 7 Stüber pro Tag, macht 8 Goldgulden, 24 Stüber verrechnet. Wer den beschlagnahmten Besitz des Ehegatten ersteigerte ist nicht bekannt. Man stelle man sich vor, welche Mentalität geherrscht haben musste, dass Escher Bürger an einer solch makaberen Versteigerung teilnehmen konnten.

 

 

Wir wollen die Hexenverfolgung in den Kontext der Zeit stellen und falsche, immer wieder geäußerte Meinungen zum Hexenwahn richtig stellen und uns dabei auf Dokumente eines Seminars der Uni Trier stützen, das 2001 in Wittlich unter der Leitung von Dr. Rita Voltmer abgehalten wurde. Interessant war in diesem Zusammenhang auch die Ausstellung im Geschichtsmuseum der Stadt Luxemburg „Incubi – succubi“ aus dem Jahr 2001. Die Hexenverfolgungen sind nicht – wie oft behauptet – ein Phänomen des Mittelalters. Sie gehen mit der Renaissancezeit einher und dauern vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. In derselben Zeit, wo die Wissenschaften und Künste einen neuen Aufschwung erleben, hatte als Gegenpol der Obskurantismus Blütezeit. Die Verfolgungen betrafen zu 4 Fünftel Frauen und zu einem Fünften Männer. Die weit verbreitete Meinung, diese brutalen Verfolgungen hätten vor allem Hebammen und Frauen betroffen, die sich im Umgang mit Heilkräutern auskannten, ist nicht richtig. Ein Zusammenhang mit der Inquisition der katholischen Kirche besteht nur indirekt.

 

Im Herzogtum Luxemburg wird die Zahl der Verfahren auf nahezu 3000 geschätzt. Luxemburg gehört damit zu den Gegenden, wo die Verfolgungen am schlimmsten waren. Auch was die geografische Verbreitung anbelangt, ist manches richtig zu stellen. In Portugal, Irland, Korsika und der Republik Genua gab es kaum Verfolgungen, auch im Kirchenstaat waren sie nicht sehr häufig. Besonders stark waren sie in Polen, den deutschen Kerngebieten, dann aber auch in Frankreich, der Schweiz, Österreich und Böhmen. In unserer Gegend gab es mehrere Wellen von Verfolgungen. Es gab ein Ansteigen zwischen 1450 und 1500, ein Nachlassen bis 1550, ein erneutes Aufflackern zwischen 1580 und 1600 sowie zwischen 1610 und 1615.

 

Die Hexenverfolgung muss vor allem als die Verfolgung von Sündenböcken verstanden werden. Sie werden begünstigt von politischen Unruhen (Kriegen, Plünderungen,…), wirtschaftlichen Krisen (schlechten Ernten, Seuchen,…), dem Glauben an die Magie und von religiösen Krisen (Reformation und Gegenreformation, Teufelsglaube). Es mag sein, dass die so genannte „kleine Eiszeit“, die nach 1560 einsetzte, ihres dazu beitrug. Jedenfalls geht bei den Verfolgungen öfters vom „Wetterzauber“ die Rede, das heißt, die Hexen verschuldeten die schlechten Ernten. 

 

Die Verfolgung und Hinrichtung der Marie Muller passt gut in dieses Bild. Ein kleines Städtchen leidet unter den äußerst widrigen Umständen der Zeit. Eine Person, die vielleicht keinen besonders guten Ruf hat, oder die im Streit mit anderen Personen steht, wird als Hexe betitelt und dann entsteht eine ganz verheerende Dynamik: Anklage, Verhör ohne Folter, Leugnen, Suche nach Hexenmalen am Körper, Folter, Geständnis, Widerruf, erneute Folter, Nennung von Komplizen, Beichte, Verurteilung und Hinrichtung. Die Dynamik kann sich weiterpflanzen, wenn die genannten vermeintlichen Komplizen ebenfalls angeklagt werden.

 

Der Prozess fand vor dem Escher Schöffengericht statt, die Richter waren also Bürger von Esch, keine Adelsherren  und keine Geistlichen. Die Hexenverfolgung erlaubte es manchmal, neue Machtstrukturen in einer Stadt auf zu bauen, so dass verschiedene Gruppen andere ausspielten. Auch konnten die Prozesse zur Verarmung einer Familie führen und zur Bereicherung von Personen, die im Prozess das Sagen hatten oder günstig Besitz ersteigerten. Die Hochgerichtsbarkeit, mit dem Recht Todesurteile auszusprechen und mit dem stadteigenen Galgen auf dem Galgenberg, war eines der wichtigsten Standbeine der Escher Freiheit, doch wurde sie, wie man am Beispiel der Hexenverfolgung sieht, längst nicht nur zum Wohle der Menschen eingesetzt. Es gab für die Marie Müller weder ein Recht auf Verteidigung  noch – so scheint es wenigstens – die Möglichkeit bei einer höheren Instanz Berufung ein zu legen.

 

Unter dem spanischen Regime gab es in Luxemburg den „conseil provincial“, ein Gerichtshof, der mit von Brüssel ernannten professionellen Richtern und Staatsanwälten zusammen gesetzt war. Dieser Provinzialrat hatte keine Befugnis in Strafsachen in zweiter Instanz zu handeln. Das tat er nur in Zivilsachen. Außerdem urteilte er in Kompetenzstreitigkeiten zwischen verschiedenen Untergerichten und in einigen Spezialgebieten, wie die Majestätsbeleidigung. Es war auch in den Nachbarregionen keinesfalls üblich, in Strafsachen eine Berufung zu zulassen.

 

 

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