3.30 Die neuen Escher kommen

 

Wir besitzen leider im Moment keine Register der neuen Einwohner von Esch aus den ersten Jahren der Schmelzen Metz und Brasseur. Ein vollständiges Register von 1877 und 1878 existiert. Es wurden nur die Familienväter erfasst, meistens mit der Angabe ob sie von der Frau und von Kindern begleitet waren. Es waren genau 100 Familienväter plus Frauen und Kinder, kaum eine Frau, die allein einwanderte.  Esch wuchs in den beiden Jahren 1877 und 1878  um 687 Einwohner. Zahlen über die Abgänge haben wir keine. Selbst wenn 100 Familien je 7 Personen mitbrachten, was stark übertrieben ist, und man einen starken Geburtenüberschuss einrechnet, und nur wenige Abgänge abrechnet,  geht die Rechnung kaum auf. Die Bevölkerungsstatistiken jener Zeit müssen angezweifelt werden.

 

Ein Wort zur geografischen Lage: Esch lag an der deutschen Grenze, Beles an der französischen. Audun-le-Tiche war deutsch, Villerupt, französisch. Nach dem verlorenen 70er Krieg waren das Elsass und das département Moselle an das neu gegründete Deutsche Reich von Kaiser Wilhelm und Reichskanzler Bismarck gekommen. Der städtische Beamte, der das Register der neuen Einwanderer führte, schrieb dennoch Lorraine oder Elsass als Herkunftsgegend. Wie hieß es im populären Lied: „Ils ont pu germaniser nos plaines, mais nos cœurs sont restés français. »

 

Hier die Aufstellung der Einwanderung 1877 und 1878 :

 

22 neue Escher Familienväter kommen aus der Moselle (einige Elsass).

16 aus Luxemburg-Land.

11 aus dem Lütticher Bassin.

9 aus der französischen Lorraine (Meurthe et Moselle, oft aus Longwy).

Je 7 aus Westfahlen (Ruhr) und aus Belgisch-Luxemburg.

5 aus Luxemburg-Stadt und Umgebung.

4 aus anderen Teilen Deutschlands.

Je 3 aus Eifel oder Hunsrück und der Saar.

2 aus Böhmen.

Je 1 aus Nordfrankreich, der Pfalz, Paris, Brüssel, Schlesien, Charleroi und der Rabbiner Ilja Kleinnitz vun Meschkatzi, Kreis Mariampol, Gouvernement Suwalki, Russland (Suwalki ist allerdings die Hauptstadt des schönen Masuren, heute im Nordosten von Polen, wo die Masurka herklingt und tausend Störche bei tausend Seen nisten, Masuren, zärtlich besungen vom deutschen Dichter Siegfried Lentz, der von dort stammte, denn Masuren war zwischenzeitlich auch deutsch-ostpreussisch gewesen). Jetzt aber Klammer zu !

 

Mich interessiert der Charakter dieser Gegenden: Industriestandorte, die der Minettegegend in der Entwicklung voraus waren oder rückständige, agrarische Gegenden? Von den 100 Familienvätern kommen 60 aus ausgewiesen bereits industrialisierten Gegenden. Die neuen Hütten und die Bergwerke brauchten Fachkräfte und die gab es in den Industriebastionen der weiteren Umgebung Luxemburgs. Ähnlichkeiten mit dem heutigen Einzugsgebiet der Grenzgänger Luxemburgs sind unübersehbar. Es kamen nur wenige Arbeitskräfte aus Luxemburg-Land (16 %), die aus Luxemburg Stadt und Umgebung können durchaus vorher in den Metallbetrieben in Eich oder Hollerich gearbeitet haben. Wir haben in dieser kleinen Statistik keine Nationalitäten aufgeführt, auch nicht die Geburtsorte, sondern die Herkunftsgegend. Gab es keine Italiener? Doch, aber keiner von ihnen kam direkt aus Italien nach Esch.

 

Sie waren noch so rar, dass wir sie aufzählen und eine kleine persönliche Note einbringen können:

 

Am 29. Oktober 1877 kam der Bergarbeiter Cosimo Ressiure, gebürtig von Villarfocchiardo/Piemont, aus Westfalen (Ruhr), mit seiner Frau. Der Vorname ist italienisch, der Name französisch.

 

Am 2. September 1878 kam Giovanni Quofato, gebürtig aus Roncigno (Roncegno Trentino – Alto Adige ?) mit seiner Frau und einem Sohn aus Engelhartz bei Memmingen in Bayern und wohnte bei Lazar Cerf.

 

Am 10. September 1878 kam Benjamin Mazzarol, gebürtig aus San Tommaso (selbe Provinz, am Gardasee ?), Bergarbeiter mit seiner Frau und einem Kind aus Elberfeld (Ruhr) und wohnte bei N. Kohner.

 

Am 27.September 1878 kam Giovanni Cresto, gebürtig von Turin, mit seiner Frau und 4 Kindern aus Bochum (Ruhr) und wohnte auf der Grenz.

 

Am 2. Dezember 1878 kam Aloise Salvadori, gebürtig aus Mihs (Tirol), Bergarbeiter, mit seiner Frau und 2 Kindern aus Herdecke in Westfalen und wohnte bei Nicolas Paulus.

 

Das wären 18 italienische Einwandererfamilien, 2 im Jahre 1877, 16 im Jahre 1878, die allesamt nicht direkt aus Italien sondern aus 4 Fällen von 5 aus der Ruhr kamen. In einer ersten Phase konnte die sich Eisenindustrie nicht mit unqualifizierten Arbeitskräften aus der Landwirtschaft aufbauen. Das stimmt für die Erzgewinnung ebenso wie für die ersten großen Hütten. Es wurden zuerst Arbeitskräfte gebraucht, die bereits Erfahrung hatten. Deshalb waren die "neuen Escher" italienischer Abstammung durchaus erst in einer zweiten Etappe nach Luxemburg gekommen nachdem sie erst in der Ruhr, im Saarland oder in Lothringen gearbeitet hatten. Wie waren sie angeworben worden? Durch höhere Löhne oder durch direkte Abwerbung mittels Emissären? Zu dieser Frage besteht noch Forschungsbedarf.

© Copyright Frank Jost, Weitergabe gestattet nur mit Quellenangabe 

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